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andreadietmann

"Ludmilla die Schreckliche"

Nach einer eher mässig optimalen Nacht was den Schlaf betrifft, werde ich am

23. November 2022 um 07:00 abgeholt für die OP. In meinem Spitalbett schiebt man mich durch endlos lange Gänge und irgendwann lande ich dann im OP-Vorbereitungsraum.


Ich werde von gefühlten 1000 vermummten Menschen begutachtet und verkabelt und mit Schläuchen à gogo ausgestattet. Ich muss meinen Namen, mein Geburtsdatum und meine Diagnose nennen. Ich rattere alles wie in Trance herunter, gehe aber davon aus, dass ich trotz Schlafmittel alles richtig gesagt habe. Denn folglich wird mir eine Art Maske aufs Gesicht gelegt: ich solle nun tief ein und ausatmen.... und schon bin ich weg im Nirwana.


Nach 8 Stunden wache ich auf - aus einer tiefschwarzen Nacht. Es fühlt sich an, als hätte man mich irgendwo im Universum parkiert. Ich spüre ein Brennen am Bauch, als hätte ich ein hochkonzentriertes DUL-X-Bad genommen. Man schiebt mich wieder durch nächste endlose Gänge mit Endstation IMC (Intermediate Care = Überwachungsstation).


Dort muss ich nun 24 Stunden und dann weitere 24 Stunden auf der Station still liegen. Jede Stunde wird nun die Durchblutung meiner neuen Brust bzw. des Lappens mittels Doppler-Gerät überprüft. Nämlich dort wo einmal meine Brustwarze war, wurde mir eine Art Insel mit Haut vom Bauch verpflanzt.


Trotz diesen Aussichten bin total euphorisch und schreibe in Gedanken ganze Bücher (Morphium sei Dank). Ich habe einen totalen Höhenflug in Bezug auf meine kreativen Gedanken. Gebt mir eine Staffelei und tausend Farben - ich würde sofort ein millionenteures Kunstwerk malen.


Kaum bin ich also in der IMC parkiert, sehe ich ein bekanntes Gesicht: meine Schwester ist da und ich fühle mich noch glücklicher: dass sie da ist und dass ich das Schlimmste überstanden und geschafft habe...


Leider habe ich aber mit dem Pflegepersonal auf der IMC in dieser Nacht nicht so viel Glück. "Ludmilla, die Schreckliche" hat heute nämlich Dienst. Entweder hat sie nichts gegessen (macht ja die Menschen manchmal mürrisch) oder sie war in ihrem früheren Leben Wärterin in einem Gefangenenlager. Ich bekomme kein Wasser und wenn ist der Tisch mit dem Becher zu weit weg. Den einzigen Satz den sie wohl kennt ist: "Alles gut ?" - aber das Interesse an meiner Antwort ist nie wirklich gross.


So nach 7 Stunden beschliesst sie eigensinnigerweise, dass die Lappenkontrolle nun nicht mehr nötig sei... (aber genau darum bin ich doch auf der IMC, oder ?). Die ersten 24-48 Stunden sind nämlich entscheidend in Bezug auf die Durchblutung des Lappens (falls es ein Blutgerinnsel gäbe könnte man dann sofort intervenieren).


Bei mir schiesst der Blutdruck und Puls in ungeahnte Höhen. Das Überwachungs-gerät meiner vitalen Funktionen bimmelt und tutet in allen Tonlagen. Ich verlange einen Arzt zu sprechen, zum Glück kann ich mich gut artikulieren und somit hat meine geistige Umnebelung wieder ein normaleres Mass angenommen. Die Ärztin bestätigt, dass diese Lappenkontrolle stündlich weitergeführt werden solle, sie wisse auch nicht warum "Ludmilla, die Schreckliche" dies nicht machen wolle - es sei wohl ein Missverständnis.


Nein, NIX Missverständnis - wahrscheinlich wollte sie einfach eine ruhige Kugel schieben in ihrer Schicht... Ich bin total sauer und nun kommen mir auch noch die Tränen, da ich mich so schrecklich abhängig fühle.


Gelernt in dieser Nacht habe ich, dass ich mich mehr wehren muss im Leben - wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt (Spruch meiner weisen Mutter, wie recht sie doch hat). Zudem macht es mich (noch) traurig(er), dass es ja Patienten gibt, die sich nicht (mehr) wehren können. Was ist mit denen ? Die Grundsatzfrage lautet doch: was ist eigentlich los mit unserem Gesundheitssystem ? Mir ist bewusst, dass die personelle Lage an den Spitälern sehr angespannt und Überlastung und Abstumpfung omnipräsent sind. Aber warum tut denn keiner etwas dagegen ? Politikerinnen und Politiker reden und reden aber gemacht wird gar nichts. Wie war das mit der Abstimmung betreffend Pflegeinitiative vom 28. November 2021 mit einem Ja von über 60 % ?


So weit so gut: ich erreiche dank meiner emotionalen Beschwerde also, dass die Lappen-Kontrolle stündlich weitergeführt wird. "Ludmilla, die Schreckliche" ist mir nun wohl gar nicht mehr wohlgesinnt aber mir ist das Wurst... und auch die längste und schwärzeste Nacht geht irgendwann vorüber.


P.S.: "Ludmilla, die Schreckliche" war zum Glück ein Einzelfall während meines 9-tägigen Aufenthalts im Spital - sie steht aber stellvertretend für unsere Misere im Gesundheitswesen !



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